Ein Auf­ruf für mehr Körper-Neutralität

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Ich bin es so unsagbar leid, dass mir auf „allen“ Kanälen erzählt wird, ich soll meinen Körper lieben, abfeiern, achten, verehren, schätzen. Selbstliebe hier, Achtsamkeit dort. So einfach geht das nicht. Und schon gar nicht nach zwanzig Jahren Diät-Karriere. Hiermit starte ich einen Aufruf für mehr Körper-Neutralität!

Hier­mit star­te ich einen Auf­ruf für mehr Kör­per-Neu­tra­li­tät! Kör­per-Was? Neutralität! 

Ich bin es so unsag­bar leid, dass mir auf „allen“ Kanä­len erzählt wird, ich soll mei­nen Kör­per lie­ben, abfei­ern, ach­ten, ver­eh­ren, schät­zen. Selbst­lie­be hier, Acht­sam­keit dort. Als wäre ich eine Hoch­druck­ma­schi­ne die man anschal­ten kann und plötz­lich ist der gan­ze Dreck von der Ter­ras­se weg geschruppt. So ein­fach geht das nicht. Und schon gar nicht, wenn man nach zwan­zig Jah­ren Diät-Kar­rie­re über­haupt nicht mehr weiß, wie man eigent­lich aussieht. 

Ich ken­ne mich mit zehn Kilo mehr als jetzt – aber auch mit 15 weni­ger als jetzt. Wohl­ge­fühlt habe ich mich weder auf die eine, noch auf die ande­re Weise.

Das Über­ge­wicht war beglei­tet von Ver­dau­ungs­pro­ble­men, Müdig­keit, depres­si­ver Stim­mung, Schmer­zen in Knien und auf­ge­rie­be­ner Haut an den Ober­schen­keln. Die 15 Kilo weni­ger (damals war ich an der obers­ten Gren­ze des, per BMI defi­nier­ten, so genann­ten Nor­mal­ge­wichts) waren geprägt von Unter­ernäh­rung, Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­teln, dau­er­haf­tem Hun­ger, Rast­lo­sig­keit und der stän­di­gen Angst wie­der zuzunehmen. 

Und war­um das Gan­ze? Gefühlt für nichts! Denn heu­te wie­ge ich mini­mal mehr als vor Beginn mei­ner Diät­kar­rie­re. Die­se trau­ri­ge Wahr­heit hat mich über­le­gen las­sen, wel­che Bezie­hung ich, ganz unab­hän­gig von der jewei­li­gen Zahl auf der Waa­ge, zu mei­nem Kör­per hatte. 

An der eben beschrie­ben unte­ren Mar­ke fand ich mich zu dick, ich woll­te unbe­dingt noch wei­ter fünf Kilo abneh­men um dann einen Puf­fer nach oben zu haben, falls ich mal wie­der zuneh­men soll­te. An der obe­ren Mar­ke hin­ge­gen, war ich voll im Selbst­lie­be-Modus, fand mich optisch total okay und wäre nie auf die Idee gekom­men abzu­neh­men! Bis mir ein Ayur­ve­da-Arzt dazu gera­ten hat. Die­se bei­den Denk­wei­sen füh­ren mich nun dazu, die Ableh­nung des Kör­pers genau­so zu hin­ter­fra­gen, wie das Schön­re­den. Schluss mit dem unsag­ba­ren Druck der dau­er­haf­ten Ver­bes­se­rung, oder viel­mehr Ver­schlimm­bes­se­rung. Was ich brau­che ist ein Mit­tel­weg, die Balan­ce aus bei­dem!  Seit einem Jahr ver­su­che ich nach und nach, immer intui­ti­ver zu Essen. Ich hei­le mich von 20 Jah­ren des Kalo­rien­zäh­lens und Lebensmittelabwiegens. 

Mein aktu­el­les Ziel ist es, dass sich See­le und Kör­per das Gewicht aus­su­chen, wel­ches ihnen gefällt. Das Gewicht, wel­ches mit psy­chisch und phy­sisch gut tut. Der Gedan­ke an die Kör­per-Neu­tra­li­tät unter­stützt mich dabei. 

Kör­per-Neu­tra­li­tät ist weder das Hoch­ju­beln, noch das Kri­ti­sie­ren. Sie hat nichts mit Ver­eh­rung, blin­der oder über­trie­be­ner Lie­be, geschwei­ge denn bedin­gungs­lo­ser Hoch­ach­tung zu tun. Sie bedeu­tet nicht, dass ich schlaf­fe Haut, hän­gen­de Brüs­te, kräf­ti­ge Ober­ar­me oder einen run­den Bauch ver­ach­te und kri­ti­sie­re. Die Neu­tra­li­tät mei­nem Kör­per gegen­über nimmt mir jeg­li­chen Druck und lässt sich, in mei­nen Augen, mit dem Aus­lei­hen eines Miet­wa­gens vergleichen.

Ob es sich um einen Klein­wa­gen, Kom­bi oder Sport­wa­gen han­delt ist mir kom­plett egal. Haupt­sa­che mein Gepäck und ich kom­men damit sicher von A nach B und zurück. Äußer­lich­kei­ten spie­len kei­ne Roll­te. Wich­tig ist ledig­lich, dass der Miet­wa­gen mich fährt. Wäh­rend ich ihn aus­ge­lie­hen habe tan­ke ich ihn – aber mehr habe ich nicht zu tun. Weder muss ich ihn sau­gen, noch durch die Wasch­stra­ße. Ich brau­che kei­ne Ver­si­che­rung abschlie­ßen und wenn mir jemand einen Krat­zer rein­macht ist kein Weltuntergang. 

Nach der Miet­dau­er gebe ich ihn wie­der ab. Ganz ohne Dra­ma. Ich bin dank­bar für die Kilo­me­ter, die er mit mir zurück gelegt hat, bin froh, dass wir kei­nen Unfall ver­ur­sacht haben. Das war des dann auch schon wieder. 

Die­se Ver­hält­nis möch­te ich ger­ne auf mei­nen Kör­per über­tra­gen. Ich möch­te ler­nen dank­bar zu sein, dass mich mei­ne Füße durch den Tag tra­gen, dass ich mit mei­nen Hän­den die­sen Blog­ein­trag ver­fas­sen kann, dass die Wir­bel­säu­le mich auf mei­nem Stuhl sit­zen lässt. Ich freue mich, dass mein Kör­per und ich heu­te schon eine Stun­de Fahr­rad fah­ren und eine Stun­de Spa­zie­ren gehen waren. Mein Zyklus ist regel­mä­ßig, mein Schlaf ist gut, mei­ne Ver­dau­ung eben­so. Mei­ne Sin­ne funk­tio­nie­ren. Ich kann sehen, hören, rie­chen, schme­cken, fühlen. 

Täg­lich erfreue ich mich dar­an, dass 20 Jah­re auf Diät auf kör­per­li­cher Ebe­ne kei­ne blei­ben­den Schä­den hin­ter­las­sen haben. Mein Kör­per hat mit mir ab‑, zu- und wie­der abgenommen. 

Ich kann Yoga üben, in Form von Kör­per­hal­tun­gen, Atem­übun­gen, Medi­ta­ti­on. Eine Stun­de, ohne gro­ße Pau­se, zieht mein Kör­per Bah­nen im Schwimm­bad. Er geht mit mir 1.000 Höhen­me­ter in acht Stun­den oder auch 13 Kilo­me­ter in leicht hüge­li­ger Natur in drei Stunden. 

Für all das, bin ich mei­nem Kör­per unsag­bar dank­bar, wohl wis­sent­lich, dass dies nichts mit mei­nem Aus­se­hen zu tun hat. All die­se Din­ge kann ich mit mei­nem der­zei­ti­gen Gewicht genau­so machen, wie als ich 15 Kilo leich­ter war und unbe­dingt noch schlan­ker wer­den wollte. 

Mei­ner Mei­nung nach bin ich nie zufrie­den. Irgend­et­was im Leben gibt es immer zu bekrit­teln, aus­zu­set­zen, zu kor­ri­gie­ren. Ver­mut­lich ist dies mensch­lich. Aber bit­te lasst uns auf­hö­ren unse­ren Intel­lekt gegen unse­re Kör­per einzusetzen. 

Ger­ne will ich mich im Spie­gel oder auf Fotos sehen ohne dabei zu den­ken: „Oh, schaust du gut aus, rich­tig schlank!“, oder: „Um Him­mels wil­len der Bauch und das Dop­pel­kinn. Gru­se­lig. Das geht ja gar nicht!“. Ich möch­te ler­nen ganz neu­tral zu den­ken: „Das bin ich, so sehe ich heu­te aus. Punkt!“.

Kein Abfei­ern, kein Nie­der­ma­chen, kein Hoch­le­ben, kein Kri­ti­sie­ren. Statt der Selbst­lie­be möch­te die Selbst­für­sor­ge an ers­ter Stel­le ste­hen. Ein neu­tra­ler Blick­win­kel ist gefragt. Ein sein las­sen. Los las­sen. Leben las­sen. So, wie der Kör­per jetzt gera­de ist. 

Wie bei allen Ver­än­de­run­gen im Leben, beginnt vor allem in die­sem Bezug, die Rei­se bei uns selbst und mit der Art, wie wir mit uns umgehen. 

Schon immer war und bin ich mei­ne größ­te Kri­ti­ke­rin. So mies wie ich gedank­lich mit mir selbst spre­che, wür­de ich nie im Leben mit einer Freun­din reden. Kei­nen ande­ren Men­schen kri­ti­sie­re ich auf eine so har­te Wei­se, wie mich selbst. 

Doch wenn ich jetzt ler­ne dies zu ändern, wird sich gleich­zei­tig mein Blick­win­kel auf die Welt ändern. Denn hier geht es um so viel mehr als „nur“ um den Kör­per. Er mag mei­ne Lern­ein­heit sein, da ich mit ihm seit der Zeit als jun­ge Erwach­se­ne ein The­ma habe. Doch der Gedan­ken­gang der Neu­tra­li­tät, lässt sich auf alle Lebens­be­rei­che über­tra­gen. Kön­nen wir nicht alle ler­nen, alle ande­ren ein­fach nur sein zu las­sen? Das ist mein gro­ßer Wunsch. 

Die Kör­per-Neu­tra­li­tät soll mein Ein­stieg sein. Zu einem bes­se­ren Umgang mit mir und spä­ter mit allen ande­ren. Ein Ende des Dra­mas in mei­nem Kopf, ein Weg hin­ein in die radi­ka­le Akzeptanz. 

Macht ihr mit? 

Son­nen­grü­ße von Her­zen,
Eure Clau­di

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